Angst vor der Angst

 

In diesem Artikel geht es darum, welche Funktionen die Angst  für uns Menschen hat und wie es uns gelingt, unsere eigene Angst besser zu verstehen und einen freundschaftlicheren Umgang mit ihr zu finden. Dies insbesondere in der derzeitigen Lage, in der sich die Grundbedürfnisse vieler Menschen in Gefahr befinden.

Das Zentrum unserer Angst befindet sich im Hirnstamm, welches auch unter dem Namen „Reptilienhirn“ bekannt ist. Der Hirnstamm ist der älteste Teil unseres Gehirns, welcher auch das Zentrum unserer Angst, Wut und Lust darstellt. Diese sind die 3 stärksten Gefühle, die wir Menschen empfinden und gleichzeitig biologischen Vorrang aufweisen.

 Stehen wir vor einer akuten lebensbedrohlichen  Gefahrensituation, hat unser Reptilienhirn die Fähigkeit, alle anderen nicht lebensnotwendigen Funktionen in uns auszuschalten und übernimmt die Kontrolle für unser Überleben. Diese nicht lebensnotwendigen Funktionen sind beispielsweise unser Verstand, Ego, Geist, und gewisse andere Gefühle. In einer lebensbedrohlichen Situation spielt das Gefühl der Liebe keine wichtige Grundfunktion in unserem Körper.

 Unser Reptilienhirn reagiert mithilfe von 3 bedeutenden Mechanismen: Angriff, Erstarrung oder Flucht. In einer derartigen Situation schätzt unser Gehirn innerhalb von Sekunden die Gefahr und unsere momentane körperliche Verfassung ein, um anschließend eine der drei genannten Mechanismen zum Einsatz zu bringen. Welches dieser 3 Programme aktiviert wird, haben wir jedoch nicht bewusst unter Kontrolle.

 In einer akuten Gefahrensituation kommt es zur Freisetzung von Hormonen in unserem Gehirn, die in uns einen Kraftschub auslösen. Hier könnte man auch von einer eher instinktiven, animalische Kraft sprechen. Im Zustand der Angst steckt daher eine immense Kraft, die aber bei vielen Menschen ausgeschaltet ist und sich in manchen Situationen willkürlich und explosionsartig entlädt, weil die eigenen Feindbilder sie nicht zulassen oder diese überhaupt bewusst für eine bestimmte Zusammenarbeit einladen.

 Die Angst wird  in der Gesellschaft meist als schlechte, dumme, überflüssige böse, primitive, animalische, brutale, und grausame Kraft  angesehen. Sie gilt als schlecht und jeder Mensch müsste sie kontrollieren, einsperren, loslassen und ihr keine Aufmerksamkeit schenken. 

 

In den meisten Werbungen der sozialen Medien wird die Angst als unser Feind dargestellt, dessen Schwingung viel niedriger und somit per Definition schlecht zu sein scheint, was uns schlussendlich krank macht.

Mit derartigen Einstellungen und Überzeugungen bzw Glaubensstrukturen in Bezug auf die Angst wird eine konstruktive Interaktion mit ihr sehr schwierig. Es gibt sehr viele Menschen, welche regelmässig Panikattacken haben und das zwar jeden Tag. Stell dir vor, wieviel Energie in solch einer Attacke liegt und wieviel von dieser Kraft  du nutzen könntest und zwar nicht gegen dich selbst.

 Viele Menschen sind der Annahme, dass die Liebe die stärkste Energie darstellt und Angst das Gegenteil von Liebe bedeutet. Oder aber auch der Glaube, dass Vertrauen automatisch zur Senkung von Angstgefühlen führt oder das Loslassen von Angst uns das perfekte Leben beschert.

 Der Begriff „Liebe“ ist meiner Wahrnehmung nach alles, wobei wir uns ständig in diesem Liebesfeld befinden. Viele Menschen haben jedoch eine sehr begrenzte Vorstellung, was Liebe bedeutet. Angst bildet einen Teil der Liebe in einer anderen Schwingung bzw in einer anderen Qualität. Auch das Gefühl von Wut stellt einen Teil der Liebe dar, denn Liebe umfasst alles, weshalb es nichts geben kann, was Liebe nicht ist. Die Liebe ist für mich um einiges breiter und beinhaltet noch so viel mehr.

 Unser RP ist weder an unsere Ohren noch an unsere Augen angeschlossen. Wie es die Umgebung wahrnimmt, wissen wir noch nicht bis ins kleinste Detail neurologisch betrachtet. Es nimmt die Umgebung instinktiv wahr und es reagiert auf unsere inneren Bilder. Mit instinktiv ist zum Beispiel unser Geruch oder bei einem Wetterwechsel der veränderte Luftdruck gemeint, über jene Faktoren unser Gehirn die äußeren Umstände wahrnehmen kann. Auch die Temperatur kann sich auf die Wahrnehmung unseres RP auswirken, denn warme Luft dehnt sich aus, ist leicht und steigt auf. Kalte Luft dagegen ist schwerer und fällt nach unten. Dieser Druck wird von unserem Innenohr aufgenommen, woraufhin unser RP dies wahrnimmt.

 Früher war es von wichtiger Bedeutung, dass wir die Änderung des Wetters wahrnehmen konnten und im Grunde ist dies etwas sehr natürlich Instinktives und nicht Intuitives, da es sich dabei um zwei unterschiedliche Kanäle handelt. Es bestehen Vor- und Nachteile, dass unser Gehirn unsere inneren Bilder aufnehmen kann. Das Problem stellt sich dabei aber, dass es glaubt, dass diese meistens real sind. Das kann oftmals aber sehr täuschend sein, da viele innere Bilder von unserem RP falsch interpretiert werden können, was anschließend zu einer Reaktion mit einem Überlebensmechanismus führen kann. Dies kann in einem völlig inadäquaten Moment passieren, was uns folglich im Alltag hindert.

 Ein geeignetes Beispiel  wäre hier eine Prüfungssituation: Obwohl man sehr gut vorbereitet ist, greift unser RP im entscheidenden Moment zu einem Fluchtmechanismus. Es will flüchten, weil es den Ort als bedrohlich einstuft. Oder man sitzt im Flugzeug und sobald sich die Tür des Flugzeuges schliesst, startet ein Fluchtmechanismus, obwohl man sich sehr freut darauf, das Meer wieder zu sehen.

 Grundbedürfnisse

 Unsere Grundbedürfnisse haben sich seit prähistorischen Zeiten nicht wirklich geändert, weil wir uns physisch kaum weiterentwickelt haben. Menschen sind immer noch abhängig von Nahrung, Wasser und eine Höhle bzw in der heutigen Zeit eine Wohnung, die uns vor Gefahren schützt. Darüber hinaus benötigt der Mensch auch Kleider (früher Fell) und eine Gruppe von Menschen (früher Stamm), weil wir alleine nicht überleben können. Es ist wichtig, dies zu verstehen, warum unser RP immer noch auf dieselben Auslöser stark reagiert, sobald unsere Grundbedürfnisse nicht gewährleistet sind. Natürlich sind im Laufe des Lebens noch viele neue Auslöser entstanden, aber der Mechanismus bleibt derselbe.

 Kampf, Flucht oder Erstarrung bilden lediglich die Abwehrmechanismen unseres RP, wobei dieses noch für vieles mehr zuständig ist. Unser RP ist des Weiteren auch zuständig, positive Stoffe im Körper kontinuierlich auszuschütten. Im Winter zum Beispiel, wenn es schneit und sehr kalt ist, möchte man nur so schnell es geht nach Hause nach einem langen Arbeitstag. Man sitzt dann zu Hause, isst etwas Warmes, und der ganze Körper ist wieder schön warm während es draussen immer noch schneit. Dieses tiefe wohlige Gefühl, das sich im Körper ausbreitet, ist das Reptilienhirn und hat nichts mit dem Glücksgefühl gemein.

 Wenn du dir folgende Situation vorstellst: Du stehst draussen in der Kälte  im Schnee und dein Freund erzählt dir, du hast eine Prüfung bestanden. Man fühlt zwar, dass man sehr glücklich ist, aber man verspürt immer noch die eiserne Kälte und das RP lässt sich nicht lange ablenken, denn es will, dass man irgendwohin in die Wärme geht, weil dies ein Grundbedürfnis darstellt.  Befindet man sich jedoch im Haus in der Wärme und erhält die Nachricht über das Bestehen der Prüfung, wirkt das Glücksgefühl automatisch intensiver.

 Es ist eigentlich ganz banal, aber es ist wichtig, diese zwei Ebenen voneinander getrennt wahrzunehmen, damit man ein Gefühl davon bekommt, aus welcher Ebene der Stress herrührt. Ist nämlich das RP beruhigt, oder nutzt man die Kraft aus dieser Ebene, ist man um einiges stabiler im Alltag, auch wenn mal eine kleine Katastrophe ausbricht. Befindet sich das RP in einem permanenten Überlebensmodus, benötigt es von aussen nur sehr wenig und der Körper kapituliert. Viele Probleme wirken dann sehr viel grösser als sie tatsächlich sind.

 Sich in dieser Welt geborgen zu fühlen oder sich sicher in seinem Körper wohl zu fühlen, welches von vielen als das Urvertrauen bezeichnet wird, stammt aus dieser  Ebene. Viele nehmen aber an, dass wenn man keine stabile Kindheit hatte, keine Möglichkeit mehr besteht, jemals eine solche Empfindung zu haben. Das ist aber ein Irrtum, weil die Kraft aus dem RP sehr unterschätzt wird. Deshalb ist es mir ein Anliegen, über diese Ebene zu schreiben, weil sie oft untergeht. Die Angst stellt eine starke Lebenskraft dar und wer Angst davor hat, hat eigentlich Angst vor seiner eigenen Lebenskraft.

 Lässt man dieses Gefühl der Angst zu, kann sie sich wie Klarheit, Sicherheit oder Bestimmtheit anfühlen. Der Kampf gegen die Angst fühlt sich hauptsächlich schlecht an, weil man sie nicht empfinden möchte. Es braucht aber Zeit und Erfolgserlebnisse, um dieser Kraft zu vertrauen. Hat man eine Erfahrung gemacht, wo sich die Angst plötzlich in Lust verwandelte, oder in plötzliche Kraft, ist die erste Tür aufgegangen. In dieser sehr physischen Ebene kommt es zu einem besseren Gefühl in Bezug auf die Natur, Tiere und die Menschen.

 Liegt jemand im Koma, übernimmt das Reptilienhirn weiterhin die Kontrolle über unseren gesamten Organismus, um uns am Leben zu halten. Es ist immer auf Leben programmiert. Viele erinnern sich noch aus der Zeitung, dass eine Mutter in Italien das Auto aufhob, als ihr Kind eingeklemmt war. Auch das ist die Kraft des RP. 

 Heutzutage leben viele Menschen in Städten und Wohnungen, wobei sie von vielen Menschen umgeben sind. Sie sind im Grunde nicht wirklich alleine. Das Problem dabei ist, wenn wir uns innerlich alleine sehen, obwohl wir umgeben sind von Hunderten von Menschen, sieht das RP das innere Bild des Alleinseins, was aus Sicht des RP eine potentiell gefährliche Situation darstellt. Einsamkeit ist zwar keine Krankheit, aber es kann eine Ursache sein, nicht nur auf psychischer Ebene, sondern auch auf einer tiefen biologischen Ebene. Deshalb ist ein enger Kreis aus Verbündeten wichtig bzw es innerlich zu sehen, einer Gruppe anzugehören. Das muss nicht per Definition die eigene Familie sein, es kann auch in einem Team in der Arbeit, im Sport oder einem Verein bestehen. Das ist auch der Grund, weshalb eine Gruppendynamik so wirkungsvoll ist, denn es berührt uns innerlich auf einer tieferen Ebene.

Das RP hat sein eigenes Denken

 In der Vergangenheit arbeitete ich mit Klienten, die sich nach einer Hüftoperation plötzlich depressiv fühlten. Sie hatten grosse Mühe, aus dem Bett zu kommen, geschweige denn das Haus zu verlassen. Sie konnten sich nicht wirklich erklären weshalb und dachten sie leiden wahrscheinlich an einer Depression, weil sie sich plötzlich so antriebslos fühlten. Ich erklärte ihnen, dass aus Sicht des RP eine gebrochene Hüfte oder Bein schlimmer ist als ein gebrochener Arm. Da man nicht mehr flüchten kann, wenn man vor einer lebensbedrohlichen Situation steht, also sprich ein „Wolf“ angreifen könnte. Das RP kann unter Umständen einen Erstarrungsmechanismus auslösen, für welches man geschützt zu Hause bleibt, um in Sicherheit zu sein bis es vorüber ist. Das RP meint es eigentlich nur gut, weil es unsere Sicherheit gewährleisten möchte.

 Löst das RP einen Erstarrungsmechanismus aus, bedarf es sehr viel mentaler Willenskraft dagegen anzukämpfen und seinen Alltag zu bewerkstelligen. Der gleiche Mechanismus kann auch bei einem Hörsturz ausgelöst werden. Sind wir am Abend nicht gestorben, hat unser Reptilienhirn seine Aufgabe erfüllt. Es möchte immer alle möglichen Gefahren, die entstehen könnten, voll und ganz verhindern.

 Es gibt auch Menschen, die in Beziehungen bleiben, in welchen sie sich nicht wohl fühlen. Sie wollen sich zwar trennen, aber innerlich haltet sie etwas davon ab und löst Stress oder starke Angst aus. Einige trennen sich, stürzen sich in sehr kurzer Zeit wieder in die nächste Beziehung. Dies könnte am RP liegen, da es nicht möchte, dass wir alleine sind, weil das aus der Sicht des RP eine gefährliche Situation darstellt. Kommt der „Wolf“, ist es besser zu zweit als ganz alleine zu sein, da die Überlebenschancen höher stehen.

 Viele Menschen spüren nicht direkt Angst, sondern Stress und Stress ist ein Symptom, aber nicht die Ursache. Die Ursache bildet die Angst, denn wenn wir Angst haben wegen eines Mangels and Geld, kann dies Stress auslösen. Haben wir Angst, zu wenig Zeit zu haben, kann das auch wiederum Stress auslösen. Haben wir Angst, alleine zu sein, kann das Stress auslösen. Haben wir Angst, in der Arbeit zu langsam zu sein, kann das Stress auslösen. Haben wir Angst, nicht gut genug zu sein, kann das Stress auslösen. Haben wir Angst, am nächsten Tag zu wenig Energie zu haben, kann das Stress auslösen. Haben wir Angst, zu wenig zu schlafen, kann das Stress auslösen. Haben wir Angst vor unseren Gefühlen, kann das Stress auslösen. Haben wir Angst, ständig krank zu werden, kann das Stress auslösen.

 Angst zu wenig Zeit zu haben, ist jedoch allgegenwärtig und auch in dieser Annahme ist ein Irrtum vorhanden, da es ein falsches Bild erzeugen kann. Zeit stellt auf der einen Seite eine Illusion dar, auf der anderen Seite bildet sie jedoch etwas Konstantes. Jeder Tag hat 24 Stunden, die wir  täglich geschenkt bekommen. Egal wo wir uns befinden, welcher Religion wir angehören, welche Hautfarbe oder sexuelle Orientierung wir haben, bekommen wir immer 24 Stunden zur Verfügung. Manche Menschen beginnen aber zu glauben und innerlich zu sehen, dass man dafür etwas machen muss, um diese zu bekommen. Diese Denkweise kann innerlich Stress verursachen und einen Menschen stark unter Druck setzen. Es ist wichtig das im Hinterkopf zu behalten, denn wie wir planen, ist eine Sache, aber für diese 24 Stunden müssen wir uns nicht zwingend anstrengen.

 Wie bereist erwähnt, ist das RP nicht an unsere Ohren oder Augen angeschlossen und was wir denken, interessiert es nicht. Erlebt eine Person eine Panikattacke kann man ihr zwar versuchen positiv zuzureden, was die Situation jedoch nicht wesentlich verbessern wird. Wer hier etwas anders behauptet, hatte noch nie eine Panikattacke. Hat das RP eine grosse Menge an Energie im Körper freigesetzt, kann man sie nicht wieder rückgängig machen. Wenn die Panikattacke ausbricht, kann man nichts machen, ausser abzuwarten bis sie vorbeigeht. Laufen und an die frische Luft gehen, sodass die freigesetzte Energie sich im Organismus abbauen kann. Essen, Wärme, alles was dem Körper gut tut und verbunden ist mit den realen Grundbedürfnissen, kann danach helfen.

 Wie geht man nun vor, wenn das Reptilienhirn nicht auf unsere Gedanken reagiert?

 Durch Körperarbeit und innere Bilder werden hier die effektivsten Resultate erzielt. Reine Gesprächstherapie nützt meistens sehr wenig bis gar nichts, weil das RP nicht auf unsere Gedanken reagiert, was auch in gewissen Situationen Vor- und Nachteile hat. Einige meiner Klienten gehen seit 12 Jahren in reine Gesprächstherapie und werden immer noch von denselben starken Ängsten und körperlichen Spannungsschmerzen heimgesucht. Von Jahr zu Jahr wurden ihnen einfach immer mehr Medikamente verschrieben.

 Als erstes ist es wichtig, den Klienten zu erklären, was Angst ganz genau bedeutet, weil es viel mehr positive Funktionen hat als Negative. Dies sollte dem Klienten klar sein. Auch wie der Mechanismus Angst den körperlichen Organismus beeinflusst, anstatt nur über die Kindheit zu sprechen. Der Klient sollte genug Informationen erhalten, sodass er es ausreichend versteht, jedoch nicht zu viel, dass es ihn überfordert. Auf diese Weise können bereits ein paar Abwehrmechanismen abgebaut werden, um in Kontakt zu treten mit seiner eigenen Lebenskraft.

 Dann sollte man mit inneren Bildern arbeiten, um so die spezifische, positiven Gefühle zu erzeugen, welche vom RP stammen. In diesen Bildern müssen alle Grundbedürfnisse erfüllt sein. Durch das Bild gibt man unter anderem dem RP ein klares Zeichen, dass wir bewusst darauf achten, alle Grundbedürfnisse einzufordern. Der Klient erkennt sehr schnell, welches Bild es ist, denn der Körper sendet schneller ein Zeichen als man annimmt.

 Dann empfehle ich die Angst zu personifizieren. Dies wird von sehr vielen Therapeuten so praktiziert und ich persönlich finde es hat sehr viele positive Begleiterscheinungen. Die Angst wird von vielen als Höllenhund wahrgenommen oder sogar als ein schwarzes Loch, das alles in sich aufsaugt. Mit so einem Bild lässt sich nicht so gut arbeiten, denn es muss etwas sein, vor dem man sich selbst nicht fürchtet. Die „Gestalt“ der Angst beginnt sich zu verändern und man erschafft ein neues Körpergefühl, wonach die Angst sich anders anzufühlen beginnt.

 Wichtig ist, dass der Klient während er/sie die Übung mit dem Bild ect. macht, keine kinesiologische Unterstützung bekommt, sondern erst zum Schluss. Denn sonst glaubt der Klient, das wohlige Gefühl sei ausgelöst vom Therapeuten. Der Klient sollte so schnell wie möglich lernen und erkennen, dass er/sie selber in der Lage ist, in dieses Gefühl „einzutauchen“, ohne externe Hilfe.

 Wann könnte Angst nützlich sein?

 Wenn wir zum Beispiel klettern gehen, geht man Hand in Hand mit der Angst, wobei das RP uns dabei hilft, voll konzentriert im Moment zu sein. Es blendet alles aus, was nicht wichtig ist und es entsteht ein positiver Tunnelblick oder eine Hyperfokussierung. Die Angst während dem Klettern loszulassen oder zu unterdrücken, würde ich niemanden empfehlen.

 Viele haben schon einmal die Erfahrung gemacht, in einem stressigen Moment trotzdem den Überblick zu behalten (angenommene Angst= absolute Klarheit). In diesem Zustand fühlte man sich sehr lebendig, lustvoll, konzentriert und man wusste, was jetzt wichtig war und was nicht. Angenommene Angst fühlt sich ganz anders an als Verdrängte, sodass viele sie nicht mehr als Angst erkennen. Registriert das RP die Ablehnung der Angst, wird sie mit der Zeit immer lauter. Es gibt hier nicht viele Möglichkeiten, ausser uns durch die negative Form der „Angst“ im Körper auf sich aufmerksam zu machen.

 In der Bibel heisst es: Wenn dir einer auf die linke Wange schlägt, dann halte ihm auch die Andere hin. Für unser Reptilienhirn stellt sich das als eher schwierig heraus. Registriert das Reptilienhirn, dass man sein eigenes  Leben nicht verteidigt und gegen diesen Impuls ankämpft, kann es gut möglich sein, dass es schneller einen Erstarrungsmechanismus auslöst. Oder sich generell blockiert fühlt, sehr ängstlich ist, ein extrem behütetes Harmonie-Umfeld braucht, am besten auf einer Insel mit nur selektiv ausgewählten netten Menschen.

 Das ist jetzt natürlich etwas überspitzt beschrieben, aber es ist wichtig zu verstehen, dass dieses Programm der Abwehr und Verteidigung in jeder Pflanze, jedem Tier und in jedem Menschen vorhanden ist. Die Biologie interessiert sich im Grunde nicht für menschliche Konzepte.

 Das Reptilienhiern stellt die erste bzw die unterste Ebene dar und wenn diese im Stress ist, wirkt sich das auf alle anderen Ebenen aus. In der zweiten Ebene befindet sich unser Geist, unser Ego und andere Gefühle, die nicht biologischen Vorrang haben und von der Intensität etwas schwieriger wahrzunehmen sind. In der dritten Ebene befindet sich unser Bewusstsein, welches nicht sehr einfach zu definieren oder zu erklären ist. Es ist im Grunde einfach das, was übrig bleibt, wenn alles andere weg ist.

 Es ist alles und gleichzeitig nichts Spezifisches. Es in Worte zu fassen, stellt sich als kompliziert heraus, weil man es sonst durch ein Wort oder ein Bild eingrenzen würde.

Ein kleines Beispiel aus dem Alltag könnte hilfreich sein, diese Ebenen besser zu erkennen: Stellt dir vor, du gehst wandern und geniesst dabei eine wunderschöne Aussicht hoch oben auf einem Berg. Das Reptilienhirn achtet darauf, dass du nicht irgendwo herunter fällst und bleibt wachsam über jeden Stein und jede Wurzel am Boden.

 Mit der zweiten Ebene sieht man die wunderschöne Landschaft, die Berge, den See, den Himmel, die Wolken und vielleicht in der Ferne im Wald ein kleines Haus. Man tritt in der 2. Ebene in Kontakt sowohl emotional, mental als auch geistig mit der Umgebung. Man möchte auch mit der Umgebung interagieren und auf diese wirken - jeder Mensch natürlich auf seine eigene Weise.

 Die obere Ebene entscheidet darüber, auf welches Objekt deine Aufmerksamkeit gerichtet ist. Blickst du zum See oder zum kleinen Haus im Wald. Es ist eine Wahl, die man selber trifft, in welche Richtung man seinen Blick wirft.( Eine ausfürliche Erklärung dieser Mechanismen findet man im Buch von Anouk Claes, Gefühle, Geist und Ego)

.Es gibt kein richtig oder falsch „hinschauen“, sondern es ist die Vielfalt, eine Art verflochtenes komplexes Erfahren auf verschiedenen Ebenen eines Ganzen, das sich selbst am Erkennen ist, was es bereits ist und noch alles sein kann.

 Von aussen betrachtet, scheint es, dass unser Bewusstsein und unser RP am weitesten voneinander entfernt sind. Aber unsere Ebenen sind nach meiner Wahrnehmung ständig in Kommunikation und versuchen, trotz den sehr vielen einengenden Glaubensstrukturen, Überzeugungen und Annahmen eine Art Gleichgewicht und Verbindung herzustellen zwischen der Innen- und der Aussenwelt - der alten und der neuen Welt, zwischen dem sichtbaren und dem Unsichtbaren. Aber dieses „Gleichgewicht“  ist individuell zu betrachten und ist sehr unterschiedlich von Mensch zu Mensch, weil wir zwar alle dieselben Grundbedürfnisse aufweisen, jedoch alle unterschiedliche Vorlieben, Talente, Fähigkeiten, Temperamente, Charaktereigenschaften und Sehnsüchte haben.

 Kampf

 Jedes einzelne Lebewesen, ob gross oder klein, will leben und wird dessen Leben bedroht, hat es Gegenstrategien, wie es sich verteidigen kann. Ich würde nun gerne eine Liste von Tieren präsentieren, die sich ähnlich wie „gewisse“ Menschen über die Flucht oder den Kampfreflex hinwegsetzen und sich „freiwillig“ quälen, ausbeuten oder erniedrigen lassen, ohne sich zu verteidigen oder zumindest zu flüchten. Diese Tiere scheint es aber tatsächlich nicht zu geben.

 Ich lasse mich gern belehren, doch bis dahin haben wir unser erstes Alleinstellungsmerkmal der Tierart Mensch gefunden. Es gibt Religionen und spirituelle Gläubige, welche die Verteidigung strickt ablehnen oder gar verurteilen und dabei ein starres Bild pflegen, dass erleuchtete Menschen niemals Kampf anwenden, nicht einmal wenn man bedroht wird. Oder natürlich beim BDSM (Bondage und Discipline, Dominance und Submission, Sadism und Masochism) - das Fesseln und die Disziplin, Dominanz und Gehorsame, Sadismus um die Lust, Schmerz zu erleiden.

 In Bezug auf den Kampf oder die Verteidigung, meine ich natürlich nicht nur auf rein physischer Ebene. Man darf sich auch verteidigen oder kämpferisch sein, wenn sich jemand sehr respektlos verhält. Das Gegenüber darf hier merken, dass ein respektvoller Umgang wichtig ist. Wurde man als Kind durch das in Kontakt Treten mit seiner eigenen Wut mit Liebesentzug bestraft, wird es schwierig sein als Erwachsener die eigene Wut als Teil seiner eigenen Lebenskraft wahrzunehmen.

 Verdrängen die Eltern ihre Wut vollständig, sieht man das oft in der Therapie von sehr ruhigen Eltern und aggressiven Kinder. Hier handelt es sich aber nur um eine Spiegelung. Die Kinder lernen nicht mit dieser Kraft wirklich umzugehen, weil sie sich  unbewusst abgelehnt fühlen. Dies geschieht aber auch in sehr vielen zwischenmenschlichen Beziehungen.

 Lust

 Angst, Wut und Lust werden gleichermassen unterdrückt, wobei die Lust aber am stärksten davon betroffen ist. Die alten kollektiven Bilder wirken sehr stark und die Lust ist ein grosses Tabu Thema in der heutigen Gesellschaft. Lust zu empfinden, gestaltet sich für viele als sehr schwierig, weil sie Angst haben, diesem Gefühl zu viel Raum zu schenken. Lust bezieht sich nicht nur auf Sex, sondern auch auf die Lust die Sonne auf der Haut zu spüren. Lust kann auch bedeuten, etwas richtig Gutes zu essen oder lustvoll seine Kraft zu spüren und sie auszuleben.

 Seit Beginn gewisser Religionen wurde die Lust systematisch verflucht und es wurden viele „Bilder“ erschaffen, um sie immer schlechter körperlich wahrzunehmen und ihre eigentliche Gestalt zu verändern.

 Vor allem bei Frauen spiegelt sich das noch bis heute in der Sexualität wieder. Wenn eine Frau das Verlangen auf viel Sex in sich verspürt, verurteilt sie sich selber, eine Nymphomanin zu sein. Ein Mann hingegen wird nie von sich behaupten, dass er ein Nymphoman ist. Denn für einen Mann ist das ganz normal in unserer Gesellschaft.

Aber das RP der Frau unterscheidet sich nicht von einem RP eines Mannes, es ist der selbe Aufbau, die selbe Lebenskraft und das sollte man immer im Hinterkopf behalten.

 Man sollte nicht vergessen, dass Eva als die Verführerin Schuld ist (durch die Schlange), dass Adam in den Apfel gebissen hat. Sie hat ihn bewusst durch die „Lust“ verführt und er wurde zu ihrem Opfer, wobei beide im hohen Bogen aus dem Paradies geschmissen wurden. Dies ist eine spannende Theorie, wobei wir alle wissen, dass der Mann genau so gut verführen kann, wie eine Frau.

 Jedoch ist niemand von uns bei diesen Überlieferungen anwesend gewesen, wobei ich persönlich keiner Zeichnung glaube, genauso wenig wie Fotos, da diese sehr oft bearbeitet wurden und das nicht nur in der heutigen Zeit. 

 Vielleicht war im ersten Bild zu sehen, wie Eva schon einen Bissen vom Apfel genommen hatte oder vielleicht hatte Adam generell Mühe Nein zu sagen. Er hätte vielleicht eine Therapie benötigt, wie man klar Nein sagen kann und für seine Bedürfnisse einsteht, ohne dabei ein schlechtes Gewissen zu bekommen.

„Ich beisse nur noch in Früchte, wenn ich möchte“, würde der Zielsatz lauten.

Anstatt mit einem Therapeuten zu arbeiten, hatten sie einen rachsüchtigen Gott, der sie direkt aus dem Paradies warf, was eine völlig desolate und übertriebene Reaktion darstellte.

 Nach christlicher Auffassung kam damit die Erbsünde oder Ursünde in die Welt: Jeder Mensch wird als Nachkommen Adams in diese Sünde hineingeboren. Es kam also zu einem wahnsinnig dramatischen Wirbel um diesen Apfel und einem unterschwelligen Keim vieler späteren Empfindungen. Natürlich war es kein gewöhnlicher Apfel, sondern der Apfel der Erkenntnis und aus irgendeinem Grund wollte „Gott“, dass die zwei zu keiner Erkenntnis gelangen, oder strebten?

 Es sieht so aus, als ob „Gott“ wollte, (in dieser alten Geschichte), dass die zwei in seinem goldenen Käfig lebten und dankbar sein sollten, weil sie ja schliesslich alles hatten. Solange sie ihm Gehorsamkeit schenkten und keine Erkenntnis suchten, durften sie in diesem diktatorischen Gärtchen noch weitere 1000 Jahren verweilen.

Es ist nicht mein Ziel, das Christentum schlecht zu reden, ich finde lediglich das Konstrukt dieser Geschichte sehr interessant. Viele Geschichten, die mit dem Glauben verwoben sind, sollte man nicht unterschätzen, weil sie schon Tausende von Jahren im Kollektiv existieren.

 Ich möchte noch erwähnen, dass ich einige Gespräche mit Pfarrer, Priester, Nonnen und Mönche zu diesen Themen führen konnte, welche sich um einiges humorvoller und offener zeigten als viele spirituell denkende Menschen. Der Mensch ist schlussendlich das Medium und nicht die Religion selbst.

 Negatives Denken

 Ein Problem, das ich  häufig in der Praxis höre, ist, dass viele Klienten mir berichten, dass das RP oft vom Schlimmsten ausgehe. Es sei ziemlich negativ eingestellt und negative Gedanken seien ganz schlecht und ziehen sogar negative Ereignisse nach sich. Hier ist es schwierig eine Antwort zu geben, doch wenn ich in einem Flugzeug sitze, möchte ich nicht mit einem Piloten fliegen, der positiv denkt. Ich würde hoffen, dass wenn er oder sie etwas Auffälliges am Flugzeug bemerkt, er oder sie dies überprüft und nicht davon ausgeht, dass wird jetzt alles gut, weil ich so positiv eingestellt bin.

 Das RP muss auch vom Schlimmsten ausgehen, sonst wäre es ein katastrophaler Beschützer. Viele Menschen vergessen, dass negatives Denken uns auch schützt, vorausdenken lässt, Gegenstrategien aktiviert und wir dadurch viel besser vorbereitet sind oder nicht auf dumme Gedanken kommen unser Leben stark zu gefährden. Wenn man natürlich nur noch negativ denkt, oder von negativen Gedanken sozusagen verfolgt wird, ist es natürlich etwas anders.

 Wir Menschen sollten im Idealfall ca. 50 % positiv und 50 % negativ denken können. Es gibt mehrere Faktoren in unserer Natur, die dieses Verhalten begünstigen. Das Problem ist, wir Menschen sind Gewohnheitstiere, was Vor- und Nachteile hat. Richtet sich unsere Aufmerksamkeit immer darauf, wo wir es gerade nicht möchten, oder muss man sich selber stark ablenken, um seinen eigenen (negativen) mentalen Mechanismus zu entkommen, kann das natürlich im Alltag stark beeinträchtigen.

 Es ist wirklich sehr traurig zu sehen, dass viele unglaublich geniale, begabte und talentierte Menschen es nicht schaffen, ihre Ziele zu erreichen, weil sie im entscheidenden Moment ihr Wissen und ihr Können nicht abrufen können. Geschweige denn anfangen, sich in eine Richtung zu bewegen, die sie sich im Inneren wünschen, aber nicht zutrauen. Das Problem sind nicht die negativen Gedanken, sondern der „Aufmerksamkeitsmuskel“, der nicht trainiert ist und man immer dort hinschaut, wo man es gewohnt ist hinzublicken. Besonders bei Verunsicherung oder Angst, kehrt man immer wieder an jene Stelle zurück, die einem vertraut ist, unabhängig davon ob diese gut oder schlecht ist. Hier geht es nicht um die Willenskraft, sondern darum, was wir geübt sind und je häufiger wir etwas machen, umso schneller gelingt es uns auch.

 Diesen „Muskel“ alleine zu üben, ist nicht  einfach, es bedarf hier reichlich Übung, denn jeder Anfang ist schwierig. Grosses Talent in etwas zu besitzen, reicht nicht aus, wenn die mentale Kraft nicht vorhanden ist. Das sieht man nicht nur im Leistungssport oder bei Profimusikern und ich meine damit nicht nur Sänger. Natürlich braucht es eine gewisse Muskelkraft, Ausdauer und Kontinuität, aber diejenigen, die richtig gut sind, besitzen eine mentale Kraft, um ihr Können in einem Moment, wenn alle zuschauen, einzusetzen oder wenn der Druck auch mal sehr stark zunimmt. Ich weiss, das klingt sehr nach Coaching, aber viele Menschen glauben, sie haben einfach jedes mal Glück oder einen besonders guten Tag, 8 Stunden geschlafen, richtig gut gegessen, 3 Liter Wasser getrunken oder das hängt nur mit ihrem Talent zusammen. Druckbeständigkeit ohne trainierte Aufmerksamkeit oder mentale Stärke kann schwierig sein, weil man gedanklich immer wieder zum gleichen „Ort“ zurück geworfen wird.

 Ich hoffe ich konnte mit diesem Text ein paar Denkanstösse und Anregungen rund um das Thema Angst geben, für das man vielleicht einen neuen Blickwinkel sieht, der nicht übersehen werden sollte. Das Thema Hirnstamm ist sehr weitläufig, weshalb es sich als unmöglich herausstellt, in einem einzigen Artikel auf alle Aspekte einzugehen. Angst bildet nur einen sehr kleinen Teil davon.

Unsere Angst wird immer auf uns aufpassen und uns im entscheidenden Moment die nötige Energie zur Verfügung stellen.